Die kleinen Götter

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Casum und Ortu – Sonnenbrüder
(Andalusier (Schimmel) mit dem Mond auf dem Rücken und Andalusier (Fuchs) mit Feuermähne)

Der Glaube:
Wächter über die Animas. Wenn etwas sie erzürnt, verdunkeln sie den Himmel und nehmen das Leben spendende Licht.
Die Legende:
Ovium empfand es als zu dunkel, als sie von Orbis die Aufgabe bekam, die Welt weiter zu schaffen und zu befölkern.
Also schuf sie zunächst Ortu, das Sonnenpferd. Dieser galoppierte nun jeden Tag um die Welt, um sie gleichmäßig mit dem Licht der Sonne zu wärmen und zu erhellen. Doch schon bald merkte Ovium, dass die Pflanzen anfingen zu verdorren, und die Tiere wurden wirr, weil sie bei dem andauernden Licht keinen Schlaf fanden.
Deswegen schuf sie einen Bruder für Ortu und nannte ihn Casum, das Nachtpferd. Dieser hielt sich für etwas besseres als sein Bruder und forderte ihn zu einem Wettlauf heraus. Ortu stimmte zu und sagte, dass jener der Sieger wäre, der als erstes 358.304 Mal um die Erde kreist.
Wenn Ortu seinen Bruder überholt, entsteht die Mondfinsternis. Wenn widerum Casum seinen Bruder überholt, entsteht dabei die Sonnenfinsternis. Durch das Rennen der Beiden entsteht der Wechsel von Tag und Nacht.
Bei diesem Rennen wurden aus einem Funken aus Ortus Hufschlag Leivo mit seinem Lichtgefieder und aus dem Staub in Casums Fell Luscinia mit ihrem Nachtgefieder geboren.


Luscinia und Leivo – die Liebenden
(Nachtigall und Lerche)

Der Glaube:
Schutz über jene, die Güte und Liebe im Herzen tragen. Schutzpatronen der Liebenden.
Die Legende:

Luscinia, die Königin der Nacht, geboren aus dem Staub in Casums Fell, und Leivo, Bote des Tages, geboren aus einem Funken in Ortus Hufschlag, verliebten sich unsterblich ineinander. Doch nie konnten sie lange beisammen sein, denn als sie es versuchten, wurden Luscinias Feder, in denen sie den Nachthimmel trug, versengt durch das Licht des Tages im Gefieder von Leivo. Es brannte Löcher in Luscinias Nachtgefieder, durch die das Licht Leivos fiel – so entstanden die Sterne.
Leivo fürchtete sich davor, Luscinia vollkommen zu verbrennen, und schweren Herzens stieß er sie von sich, um ihr Leben zu retten. Man sagt jedoch, ihr Sehnen nacheinander sei so stark, dass sie zwei Mal am Tag für eine kurze Zeit zueinander finden und ihr Liebestanz die Morgen- und Abendröte erschafft.


Venandi – die Jägerin
(Eurasischer Luchs)

Der Glaube:
Schutzpatronin der Jäger. Wächterin über die Wälder.
Die Legende:

 In manchen Schriften wird Venandi auch als die Tochter Furors bezeichnet. Sie war das erste Wesen, welches Furor mit Reißzähnen und Blutdurst ausstattete, um gegen Oviums Pflanzenfresser vorzugehen.
Jedoch gab ihr Furor ebenso ein großes Herz mit auf den Weg und verbat ihr, die jungen und gesunden Tiere zu reißen.
Sie war eine fleißige und aufmerksame Schülerin und nahm alles begierig auf, was Furor ihr beibrachte. Er liebte Venandi innig und zog sie oft den anderen Göttern vor, weshalb diese ihr grollten – vor allem Fabri und Cari. Immer wieder aufs neue versuchten sie, Venandi zu besiegen oder ihr eine Falle zu stellen. Doch Venandi, angelernt von Furor selbst, durchschaute ihre Tricks und Heimtücke und siegte jedes Mal über sie.
Dennoch spürte sie, dass Furor mit sich haderte. Er wollte nicht, dass sich seine Abkömmlinge stritten, wusste aber nicht, was er tun sollte. Er konnte Venandi einfach nicht behandeln wie alle anderen.
Und so entschied Venandi schweren Herzens, sich von Furor abzuwenden. „Ich fühle mich von dir eingeengt, Vater. Ich ziehe fort von hier. Es wird Zeit.“
Tief verletzt durch ihre Worte wütete Furor und riss dabei ein Stück von einem Gebirgskamm fort. (Angeblich jener Kamm, an dem nun die Stadt Königswall steht.) Furor schimpfte sie ein unverschämtes Kind, jagdte sie wutschnaubend davon und sprang auf den Mond, um von dort aus die Welt zu betrachten.
Von da an zog Venandi umher. Schützte die Wälder und das dort lebende Wild. Und manchmal, wenn sie in der Nacht zum Mond hinauf sah, leuchteten ihre Augen auf, um einen Gruß zu ihrem Vater zu schicken. Weil sie sich nicht sicher sein konnte, ob er es sehen würde, wenn nur ein Augenpaar leuchtete, schenkte sie allen Tieren solche Augen.


Luctus – das trauernde Kind
(Waldbirkenmaus)

Der Glaube:
Begleiterin und Wächterin der Seelen der Verstorbenen. Unheilsverkünderin. Bestraferin der Animas mit dunklem Herzen.
Die Legende:

Es heißt, dass Luctus das Kind der Erde sei. Im Boden geboren, sah sie nichts, hörte nichts. Alles war still und dunkel, warm und weich. Doch Luctus war ein Kind und besaß die gleiche Neugier wie alle Kinder, und daher fragte sie sich:
„Sag, wie mag es wohl außerhalb der Erde aussehen?“ So verließ sie die schützende Umarmung der Erde.
Es war zur Dämmerungszeit und all die Tiere schwiegen in tiefer Huldigung. Luctus staunte über diese Welt. Überall sah sie Wunder und Schönheit. Schneller als es jedes andere Tier es vermocht hätte, kletterte sie auf jeden Baum, den sie fand, und probierte all die Samen, die ihr vor die Pfoten kamen. Keinen Weg, so schwierig er auch war, ließ sie aus. Bis sie alle Pfade und Abbiegungen kannte.
Und dann eines Tages traf sie eine Schlange.
„Hallo!“ rief Luctus und legte den Kopf schief. Die Schlange regte sich kaum. Ihre Augen starrten sie nur an, als wollte sie ihr direkt in die Seele schauen. Luctus trat noch einen Schritt weiter vor. „Was tust du hier?“
Plötzlich zuckte die Zunge der Schlange hervor und berührte Luctus an der Nase. Die Schlange hob langsam und mit deutlicher Anstrengung den Kopf.
„Ich warte auf mein Ende“, zischte die Schlange.
„Wie meinst du das?“ fragte Luctus und ihre Nase zitterte vor Neugier.
„Ich warte darauf, dass ich sterbe, kleine Maus.“
Aber sie verstand immernoch nicht.
„Was heißt sterben?“
Der Kopf der Schlange näherte sich ihr, bis sie jede einzelne, kleine Schuppe sehen konnte.
„Das ist das Gegenteil von Leben, Maus.“
Luctus verengte nachdenklich die Augen.
„Kann man denn so einfach sterben?“
Die Schlange zischte bejahend.
„Durchaus. Ich könnte dich mit einem schnellen Biss verschlingen. Dann würdest du sterben. Aber das würde nichts machen.“
Luctus‘ kleines Herz wummerte mit einem Mal in ihrer Brust. Ganz aufgeregt zitterten ihre Barthaare.
„Warum würde das nichts machen?“
Lange dauerte es, ehe die Schlange endlich sprach. So kam es ihr jedenfalls vor. Sie starrte Luctus nur in die Augen.
„Weil nach dem Sterben nichts kommt. Nichts außer dem Warten.“
„Worauf warten?“ legte Luctus schnell nach. Inzwischen stand sie auf den Spitzen ihrer kleinen Hinterpfoten. Sie konnte es in dem Gesicht der Schlange nicht genau erkennen, aber sie glaubte, darin etwas wie Traurigkeit zu erkennen.
„Warten, dass man gefunden wird. Es gibt ein Reich für die, die sterben, kleine Maus. Es nennte sich Aliterra. Es soll wundervoll sein und all jene, die dich lieben und vor dir gestorben sind, werden dort auf dich warten. Und all die geliebten, noch lebenden Freunde können von dort gesehen und bewacht werden.“ Das klang wirklich schön, dachte Luctus, aber die Schlange sprach nun plötzlich leise, kaum hörbar. „Aber niemand wird dieses Reich je finden.“
Luctus sackte zurück auf ihre Pfoten. Ihr Herz war auf einmal schwer. Das war traurig. Unendlich traurig.
„Aber warum?“
Die Schlange ließ den Kopf ein Stück sinken.
„Weil niemand ihnen den Weg dahin weist, kleine Maus. Sie irren umher und suchen den Weg. Können ihn aber nicht finden.“
Luctus wischte sich eine Träne aus ihrem kleinen Gesicht.
„Das ist so unsagbar traurig, Schlange. Wenn ich ihnen doch nur helfen könnte. Ich könnte den Weg finden. Ich bin schneller als jedes Tier auf dieser Welt. Aber wie soll ich ihnen nur zeigen, wo sie hin müssen?“
In den Augen ihres Gegenübers glitzerte etwas.
„Du kannst nichts tun, kleine Maus. Du müsstet erst einmal sterben.“
Luctus senkte den Blick und dachte lange nach. Als sie wieder zur Schlange sah, war ihr Ausdruck entschlossen.
„Du sagtest, du könntest mich mit einem Biss sterben lassen. Bitte tu das, gute Schlange.“
Doch die Schlange wiegte den Kopf hin und her.
„Das kann ich nicht, Maus. Ich bin alt und habe kaum noch Kraft, den Kopf oben zu halten. Und du hast noch so viel Zeit vor dir. Tut mir leid.“ Und damit legte die Schlange ihren Kopf wieder nieder und schlug ein letztes Mal mit der Zunge, ehe sie starb.
Luctus weinte bittere Tränen. Um ihren Freund. Um all jene, die auf ewig wanderten und warteten, um nach Aliterra zu gelangen. Und um sich und all die Zeit, die es noch dauern würde, ehe sie ihnen helfen konnte. Luctus weinte und weinte, bis ihre Augen schmerzten. Sie krümmte sich vor Leid und Trauer. Aß nicht. Trank nicht. Und so starb sie schließlich und wurde zum Tod.
Seither, so heißt es, weist Luctus den Verstorbenen mit einer kleinen Laterne an ihrem Schwanz den Weg nach Aliterra. Die Augen weißblau glühend von den noch immer fließenden Tränen.


Die Weberin

Der Glaube:
Schicksalsgöttin, welche die Lebensfäden jedes Animas‘ hält und führt. Sie straft die Sünder.
Die Legende:


Ars – der Handwerker (Braunbär)

Der Glaube:
Schutzpatron der Handwerker. Überbringer und Hüter der alten Handwerkskunst.
Die Legende:

Nachdem die Animas erschaffen waren, merkte Furor, dass es nötig war, ihnen mehr als nur die Natur zu bieten. Sie brauchten Häuser, Werkzeuge und schließlich auch Waffen. Weil er jedoch zu sehr damit beschäftigt war, weitere Lebewesen zu kreiren, erschuf er Ars und lehrte ihn die Kunst des Handwerks.
Ars gab sein Bestes, um den Wünschen der Animas gerecht zu werden, und lehrte auch sie so gut es ging das Handwerk. Doch die Animas vermehrten sich zu schnell und forderten immer mehr und mehr, sodass er sich zwei Söhne formte, die ihm bei den Aufgaben helfen sollten.
Den Ersten schuf er aus Lehm und dem Holz eines Eichenbaumes, den Zweiten aus Eisen und Efeu. So entstanden Fabri und Cari.
Schon bald zeigte sich, dass beide Talent in völlig unterschiedlichen Dingen hatten. Fabri zeigte große Geschicklichkeit im Bearbeiten von Holz und Stein, während Cari mehr mit Gold, Silber, Kupfer und Eisen umzugehen wusste.


Fabri und Cari – die Schmiedekinder

Der Glaube:
Schutzpatrone unterschiedlicher Handwerkskünste. Fabri: Töpferer und Tischler. Cari: Schmiede und Näher
Die Legende:
Ars, der Gott des Handwerks, schuf die Brüder Fabri und Cari als seine Söhne, um ihm bei der Aufgabe zu helfen, die Animas das Handwerk zu lehren. Fabri entstand aus Lehm und Holz, während sein Bruder Cari aus Eisen und Efeu entstand.
So unterschiedlich ihre Bestandteile waren, so unterschiedlich waren auch ihre Talente. Fabri lernte jegliche handwerkliche Kunst mit Holz, Lehm und Stein mit Feuereifer und meisterte schnell alle Lektionen seines Vaters.
Cari hingegen langweilten die normalen und alltäglichen Aufgaben und hatte mehr Interesse daran, etwas Schönes zu schaffen. Als er am Flussufer einen in vielen Farben schimmernden Stein fand, begann er ihn zu verarbeiten und trug ihn schließlich an einer filigranen Kette aus Silber um den Hals. So begann er, Schmuck und Kleidung herzustellen, und wurde darin zum Meister.
Sein Vater zürnte ihm, weil er dachte, dass dieser Schmuck sinnlos und unbrauchbar sei. Doch die Animas liebten die Sachen, die Cari herstellte.


Invidia – die Neiderin (Schlange)

Künstler: Culpeo S. Fox

Der Glaube:
Hüterin von Orbis‘ Baum. Schlächterin eines jeden, der es wagt, ihm zu nahe zu kommen.
Die Legende:
Die Herbi- wie auch Karnischriften beschreiben Invidia als eine riesige Schlange, welche große Liebe für Orbis verspürte. Orbis liebte jedes Lebewesen und Objekt auf der Welt gleichermaßen. Invidia, nicht verstehend, dass dies auch sie miteinbezog, neidete den anderen Geschöpfen die Zuneigung, die Orbis für sie empfand.
Als Orbis sich in einen riesigen Eichenbaum zurückzog, um von dort dem Schaffen von Ovium und Furor zuzusehen, biss Invidia ihn in ihrer Eifersucht, sodass er in einen tiefen Schlaf fiel. Sie selbst legte sich um eben jenen Baum, damit fortan niemand in dessen Nähe käme.



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